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Abstracts und Kurz-CVs

Maren Ahlzweig (Düsseldorf): Identitäts- und Alteritätskonstruktionen zweier zeitgenössischer Autoren aus Triest: Dušan Jelinčič und Pino Roveredo

Die triestinisch-julische Gesellschaft zeichnet sich aufgrund ihrer Geschichte durch ihre Transkulturalität und die damit verbundenen grenzüberschreitenden Denk- und Kulturformen aus, die in besonderen Maßen literarisch verarbeitet werden. Während die umfangreiche Literaturproduktion der Grenzstadt Triest allein in der kanonisierten Literatur einen besonderen Umfang unterschiedlicher Schriftsprachen repräsentiert, spielt die Frage der Identität eine scheinbar ewigwährende Relevanz. In diesem Zusammenhang gewinnt die Tatsache, dass Sigmund Freud seine ersten Studien in Triest begann, an Bedeutung. In der triestiner Literatur ist dem Phänomen von Norm und Abweichung mit der Thematisierung der Psychoanalyse besondere Aufmerksamkeit geschenkt worden. Auch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde Triest mit dem Psychiater Franco Basaglia zum Motor einer besonderen und bisher europäisch einzigartigen Innovation: der Öffnung der Psychiatrie. Die Frage des Umgangs mit Alterität wurde nun öffentlich diskutiert und zeigte eine besondere Wirkung. Mit der Diskussion um das Recht auf individuelle Ich-Konstruktionen fernab allgemeingültiger kultureller Normvorstellungen musste in Triest die Frage nach Grenzziehungen zwischen Eigenem und Fremdem neu beflügelt werden. Anhand zweier zeitgenössischer triestiner Autoren soll in diesem Vortrag gezeigt werden, wie sich diese Innovationen auf Identitäts- und Alteritätskonstruktionen in der triestiner Literatur des 21. Jahrhunderts ausgewirkt haben.

Maren Ahlzweig studierte Germanistik und Romanistik an der Universität Bremen, der Universidad de Valencia (Spanien) und der Università di Bologna und war danach als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am romanistischen Institut der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf tätig, wo sie zur Zeit in dem internationalen Promotionsprogramm "Interkulturalität und Kommunikation" zu dem Thema "Wahnsinn und Psychiatrie in italienischer und argentinischer Literatur" promoviert.

Hans Richard Brittnacher (Berlin): Der tote Fetisch. Die Macht der Vergangenheit in George Saikos Auf dem Floß

Schon die Titel legen es nahe, George Saikos Auf dem Floß und Blumenbergs Schiffbruch mit Zuschauer aufeinander zu beziehen: Es sind Texte, in denen das Prekäre jeder Vergewisserung von Identität und Vergangenheit metaphorisch an das unsichere Element des Wassers gebunden ist. George Saikos großer Roman Auf dem Floß, ein Solitär der österreichischen Literatur, der bis heute nicht einmal ansatzweise die verdiente akademische Anerkennung erfahren hat, demonstriert die Quecksilbrigkeit jeder Auseinandersetzung oder Erinnerung an Österreich-Ungarn in einer doppelten Projektion: 1948 geschrieben, spielt die exzentrische Handlung in einer Zeit nach 1918, in der doch anachronistisch die Lebenswelt der (allmählich erodierenden) Donaumonarchie Vorkriegseuropas noch lebendig ist. An die Stelle jener nostalgischen Beschwörungen der vergangenen Welt der Habsburgermonarchie, wie sie die Romane Joseph Roths oder Lernet-Holenias anstimmen, tritt hier eine eigentümlich historisch verspiegelte, psycho-soziologische Autopsie des Untergangs. Denn so, wie es dem Roman gelingt, Gegenwärtiges, Vergangenes und Vorvergangenes ineinander zu spiegeln, so  bringt er vor diesem schillernden historischen Kaleidoskop auch ein bizarres seelisches und soziales Psychodrama zur Anschauung, in dem bewährte kulturelle Ordnungsmuster konsequent subvertiert werden: Zwischen dem altadligen, degenerierten Freiherrn Alexander Fenckh und seinem bärenstarken Leibeigenen Joschko herrscht eine innige, fast libidinös geprägte, symbiotische Bindung, die jene von Hegel namhaft gemachte Herr-Knecht-Beziehung  bekräftigt, aber zugleich auch sabotiert: Den vitalen Kuhirten, dem der Fürst sich so innig verbunden weiß, will er nach seinem Tod anstelle eines ausgestopften Wisents unter seinen Jagdtrophäen aufbewahren und zur Schau stellen: In der Verfügung über den toten Körper wird das historistische Phantasma der (musealen) Verfügung über den Fremden, das Andere, das Vergangene anschaulich. Zugleich wird es anarchisch gebrochen, weil die noch vitalere Marischka, geradezu das Klischee einer heißblütigen 'Zigeunerin', und zugleich die verschmähte Geliebte des Fürsten, ihrerseits das Recht beansprucht, über die Leiche des Hirten zu verfügen - und damit einen an Mortifikation gebundenen Herrschaftsanspruch sabotiert. In dieser Kollision von Verführungs- und Opferansprüchen, denen der Roman eine ganze Reihe zwar weniger bizarre, aber gleichermaßen aufschlussreiche Konflikte an die Seite stellt, wird eine prekäre historische Situation gewissermaßen im Rückblick neu konfiguriert, indem die dominierenden kulturellen Leitdichotomien konsequent unterlaufen werden. Das hat Konsequenzen für den Hochmut der Moderne: Die mächtige Autorität des Vergangenen und eines immer noch vitalen, vom Fremden genährten Urtümlichen greift beständig nach einer Gegenwart, die auf einem schwankenden Floß die Zukunft zu gewinnen sucht. Der vielberufene 'magische Realismus' hat in dieser Nekromantik des Vergangenen seine poetologische Begründung.

Hans Richard Brittnacher, Prof. Dr., lehrt am Institut für Deutsche Philologie der Freien Universität Berlin. Forschungsschwerpunkte: Intermedialität des Phantastischen; die Imago des Zigeuners in der Literatur und den Künsten; Literatur- und Kulturgeschichte des Goethezeitalters und des Fin de siècle. Zuletzt erschienen: Leben auf der Grenze. Klischee und Faszination des Zigeunerbildes in Literatur und Kunst. Göttingen: Wallstein 2012; Phantastik. Ein intermediales Handbuch, hg. von H.R. Brittnacher u. M. May, Stuttgart: Metzler 2013.

Milka Car (Zagreb): Antagonismen und Differenzen. August Šenoas publizistische Tätigkeit in Wien 1864-1866

Ausgehend von der Frage nach transnationalen Spuren und transregionalen Erfahrungsräumen in August Šenoas Texten, die er in Jahren 1864-1866 in Zeitschriften Glasonoša und Slawische Blätter in Wien publiziert, soll die imperiale Konstellation rekonstruiert werden, der das nationale Projekt Šenoas entspringt. Analysiert werden publizistische Texte und Theaterschriften des Begründers des kroatischen historischen Romans und des vielseitigen Kulturvermittlers August Šenoa, die mit einem klaren nationalhomogenisierenden Zweck im Kontext der Österreichisch-Ungarischen Monarchie behaftet werden. Im Vortrag soll die Frage nach spezifischen kulturellen Kontaktzonen gestellt werden, die Legitimation und Kohärenz den kleinen europäischen Nationalbewegungen verleihen. Zugleich wird das Nationale erst durch die Abgrenzung von ihnen konturiert. Demnach ist Šenoas  Literaturbegriff zu bestimmen, denn auch seine nichtfiktionalen Texte werden  als sozial-symbolische Akte mit einer starken integrativen Funktion verstanden und zeugen vom Versuch, die kollektive Identität zwischen nationalen Mustern und hegemonialen Tendenzen bzw. Assimilationsstreben zu verorten. Auch in seinen programmatischen Texten ist ein essentialistischer Authentizitätsanspruch dominant, welcher die Etablierung der kroatischen Nation im 19. Jahrhundert aus einem lang anhaltenden Prozess agonaler Kräfte ableitet, womit die Problematik der kulturellen Differenz in einer traumatisierten Nation thematisiert wird.

Milka Car, Studium der Komparatistik und Germanistik an der Universität Zagreb. Seit 2000 am Lehrstuhl für Literaturwissenschaft der Abteilung für Germanistik der Philosophischen Fakultät Zagreb als Assistentin tätig, ab 2009 als Dozentin, ab 2014 als ao. Professorin. Magisterarbeit über die Rezeption der deutschsprachigen Dramatik im kroatischen Theater in Zagreb 1894-1939 (2003), Dissertation über den deutschsprachigen Dokumentarroman im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts (2008). Rezensentin deutschsprachiger Neuerscheinungen für das Dritte Programm des Kroatischen Rundfunks. Längere Studienaufenthalte in Wien und München. Forschungsschwerpunkte: Untersuchung der deutschsprachigen Dramatik in Kroatien: rezeptionsästhetische und kulturwissenschaftliche Aspekte; Dokumentarroman in der zeitgenössischen deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts.

Enikő Dácz (Regensburg): Identitäts- und Alteritätskonstruktionen in einer literarischen Zeitschrift. Das Beispiel der Karpathen (1907-1914)

Die Fachliteratur stellt die vielfältige Tätigkeit von Adolf Meschendörfer als die eines Erneuerers der siebenbürgisch-sächsischen Literatur dar, der nach seiner Rückkehr nach Siebenbürgen den literarischen Anschluss an die europäischen Strömungen vollzog, während er nationale Traditionen weiterhin pflegte. Im Zeichen der von ihm geführten "Revolution" stand die erste überregional bekannte und anerkannt siebenbürgisch-deutsche literarische Zeitschrift Die  Karpathen, die auch im Bereich der interethnischen Beziehungen eine vermittelnde Rolle übernahm, indem sie die Vorstellung der Kulturen der miteinander lebenden Nationalitäten zu ihren wichtigsten Aufgaben zählte und sie durch transnationale Zusammenarbeit verwirklichte. Im Gegensatz zu den bisherigen Studien, die in dieser Hinsicht über die Erwähnung bzw.  Inventarisierung der veröffentlichten ungarischen und rumänischen Übersetzungen kaum hinausgingen, untersucht der Vortrag die Wir- und die  Anderen-Diskurse in mehreren, in der Zeitschrift veröffentlichten Gattungen (Lyrik, Kurzgeschichte oder Essay). Aufgrund ausgewählter Schriften wird nachgefragt, wie kontingente Wirklichkeitserfahrungen mit Hilfe von Tropen sowie Gattungsmustern in Identitätsvorstellungen transformiert wurden. Der Fokus liegt auf der simultanen Wirkung unterschiedlicher, sich auch widersprechender kultureller Sinnmuster, die besonders in Schriften über die zeitgenössische rumänische oder ungarische Literatur und Kultur zum Vorschein kommen, der performativen Struktur der Identität sowie den Nahtstellen von Fremd- und Selbstethnisierung. Darüber hinaus kommt den bildlichen Darstellungen der Anderen besondere Aufmerksamkeit zu.

Wladimir Fischer (Wien): Die Produktionsmittel der Differenz. Zur Technikgeschichte südslavischer literarischer Produktion in/durch Wien vor 1918

Literarische Alterität entsteht nicht von selbst. Sie wird auch nicht nur durch die Betrachtung des "Anderen" konstruiert. Sie entsteht, wie andere soziale Phänomene auch, durch die Vernetzung von Akteuren. Die Präsentation versucht, die Entstehung von südslavisch-sprachigen Alteritäten in Wien zu rekonstruieren, indem nicht nur die Produkte literarischer Akteure betrachtet werden, sondern vor allem die Produktionsmittel, die sie verwendeten. Die "Anderen" in Wien entwickelten seit dem späten 18. Jahrhundert eigene Infrastrukturen. Diese waren verwoben mit den Handels-, Transport- und Reiseinfrastrukturen in Zentraleuropa und darüber hinaus. Anhand verschiedener Orte und Netzwerke, in die südslavisch-sprachige Akteure sich und ihre Tätigkeiten einspeisen konnten, soll gezeigt werden, wie Differenz konkret funktioniert. Zum Abschluss werden Zusammenschlüsse, Produktionsstätten und Medien und ihre Vernetzung diskutiert werden.

Wladimir Fischer ist Historiker und forscht über Identitätsprojekte, in und aus Südosteuropa, in Wien und anderen Städten Zentraleuropas und Nordamerikas vom späten 18. bis zum späten 20. Jahrhundert. Forschungsschwerpunkte: Identitätsmanagement, Netzwerke, Kommunikation.

Christa Gürtler (Salzburg): Alteritätskonstruktionen in Bertha von Suttners letztem Roman Der Menschheit Hochgedanken

Bertha von Suttner hielt nichts von einer behaupteten biologischen/natürlichen  Friedfertigkeit der Frauen, sondern kämpfte für die Überwindung traditioneller  Geschlechterdifferenzen. Sie selbst lebte von 1876 bis 1885 in Georgien. Auch wenn diese Lebenserfahrung in ihrem Werk nicht explizit thematisiert wird, interessiert doch, ob diese Alteritätserfahrung in ihren belletristischen und theoretischen Texten Spuren hinterlassen hat. Der Vortrag untersucht am exemplarischen Beispiel ihres letzten utopischen Romans Der Menschheit Hochgedanken die Fragestellung, wie sich die Transdifferenz der biografischen Erfahrung in diesen Roman eingeschrieben hat. Der Roman erzählt u.a. davon, wie die Träume am Beginn des aeronautischen Zeitalters abstürzen. Sie setzt dagegen ein utopisches Konzept einer transnationalen und globalen  Friedensbewegung und ein emanzipatorisches Konzept der "Neuen Eva". Doch gelingt es auch ästhetisch, Alteritätserfahrungen zu vermitteln?

Christa Gürtler, geb. 1956 in Linz, Dr. phil., studierte Germanistik, Kunstgeschichte und Publizistik in Salzburg, lebt in Salzburg als Literaturwissenschaftlerin, Literaturkritikerin und Geschäftsführerin des Salzburger Literaturforums Leselampe und der Literaturzeitschrift SALZ, seit 1984 Lektorin an der Universität Salzburg, Forschungsprojekte zu "Schriftstellerinnen der Habsburgermonarchie" und "Österreichische Schriftstellerinnen 1918-1945". Seit 2008 Mitkuratorin des Literaturfests Salzburg, Ausstellungskuratorin (Marlen Haushofer, Irma von Troll-Borostyáni). Zahlreiche Rezensionen, Publikationen und Herausgaben, v.a. zur Literatur von Autorinnen, u.a. zu Elfriede Jelinek, Mitherausgeberin einer vierbändigen Werkausgabe von Elfriede Gerstl (2012ff).

Endre Hárs (Szeged/Wien): "Emma" alias "Emanuel". In Geschlechterrollen kreuz und quer durch "Jókai-Ungarn"

"Jókai-Ungarn", wie die Kulturhistorikerin Anna Fábri 1991 in ihrer sozialhistorischen Untersuchung über das Werk Maurus Jókais (1825-1904)  behauptet hat, ist eine literarische Welt, in der sich - wenngleich mit vielen Brechungen - ein spezifisches und dennoch extensives Bild Ungarns im 19. Jahrhundert wiederspiegelt. Denn "der ungarische Globus" Jókais, so bereits Zsigmond Móricz 1922, ist "voll mit Millionen von Figuren und Farben, von Glanz und naivem, unwiderstehlichem Zauber", und ist das ungeachtet dessen, dass solchem Lob immer auch Ironie und Kritik: Signale der Infragestellung des Literarischen sowie des 'Wahrheitsgemäßen' beigemischt wurden. Der Beitrag sucht im genannten Reichtum literarischer Figuren und erschriebener sozialer Rollen nach Stellen, die die Suspendierung geschlechtlicher und sozialer Zuschreibungen nahelegen. Durch Neu- bzw. Nichtbesetzungen könnten, so die Arbeitshypothese, auch andere Dimensionen "Jókai-Ungarns" und ein weiteres Argument für dessen Komplexität angeführt werden.

Tymofiy Havryliv (Lviv): Ein Migrant par excellence: Leben und Werk von Ivan Franko als Beispiel der Multiplexität

Ivan Franko (1856-1916) gilt als die wichtigste Figur der ukrainischen Kultur nach dem Nationaldichter Taras Ševčenko. Ohne ihn sind weder das nationale Narrativ noch der Kanon denkbar. Dabei sind sein Leben und Werk von ständigem Grenzgängertum und den Wanderschaften gekennzeichnet. Er schuf Werke in Ukrainisch, Polnisch und Deutsch, übersetzte seine "anderssprachigen" Texte ins Ukrainische, wobei die Originale und die Selbstübersetzungen feine auf die jeweilige Kultur abgestimmten Differenzen aufweisen, und er träumte davon, ein erfolgreicher österreichischer (deutschsprachiger) Schriftsteller zu werden. Der Begriff "Migration" wird ausgedehnt: Dieses Verfahren ermöglicht es, sowohl die gültigen Theorien als auch einen festkonnotierten Lebenslauf in neues Licht zu rücken. Der Beitrag setzt sich zum Ziel, Ivan Frankos Leben und Werk in seiner Multiplexität aufzuzeigen.

Amália Kerekes (Budapest): Anachronistinnen. Die Figur der Reporterin in der Budapester Presse zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Von den zahlreichen Dilemmata, die das Selbstverständnis und die soziale Akzeptanz der Journalisten um 1900 betreffen, scheint das Berufsbild des Reporters fast unberührt zu sein: Seine Position am unteren Ende der redaktionellen Hierarchie und das Ephemere seiner häufig anonym erschienenen Artikel mit einem an sich begrenzten Themenrepertoire haben  seine Profilierung nur in den seltensten Fällen ermöglicht, meistens erst nach einem Quantensprung in Buchform. Der Vortrag wird diesen engen journalistischen Kreis mit seinem Fokus auf die frühen Vertreterinnen der Budapester Sozialreportage drastisch einengen, und zwar entlang zwei allgemeiner Fragestellungen. Einerseits soll in methodischer Hinsicht die nahezu verstörende Affinität des untersuchten Korpus zu den Grundeinsichten der cultural turns reflektiert werden, jene Beispielhaftigkeit der Texte, die in einer ersten Annäherung eher Antworten als offene Fragen bereithält. Die in den Reportagen leicht identifizierbaren klassischen Problemfelder der urbanen Modernisierung werden dabei auf jene Trans-Momente bezogen, die die Etablierung der Gattung als Modephänomen artikulieren und vor diesem Hintergrund, gelegentlich mit einem ironischen Seitenhieb auf die programmgebende frauenbewegte Publizistik, ihre Produktivität ermessen.   Angesichts der divergierenden Einschätzung der Alternativen bzw. der Alternativlosigkeit der gesellschaftlichen Veränderungen wird andererseits die vielfältige und die besprochene Problematik unterschiedlich stark individualisierende und lokalisierende Prosapoetik der Reportagen behandelt, deren Spektrum von den Techniken der traditionellen Feuilletonnovelle bis hin zu den innovativen Formen der Montage reicht.

Amália Kerekes, Germanistin, Oberassistentin am Germanistischen Institut der Eötvös-Loránd-Universität. Arbeitsschwerpunkt: Presse- und Migrationsgeschichte in der Zwischenkriegszeit.

Edit Király (Budapest): Zu Nixe werden: Marie delle Grazie und die Donau

Marie delle Grazie war als Tochter eines italienischen Bergwerkdirektors und einer deutschen  Mutter im Banat geboren. Sie war 10 Jahre alt, als sie nach dem Tod ihres Vaters nach Wien kam, wo sie ihre Schulen absolvierte und Schriftstellerin wurde. Wann entdeckte Sie das Exotische ihrer Herkunft als literarisches Thema? Wie wurde sie zu einer Autorin, die in Anthologien der neu erfundenen Banater deutschen Literatur publizierte? Wie konzipierte sie den Ort ihrer Herkunft und in welche topologischen Modelle fasste sie die Relation  Wien–Banat in ihren autobiografisch inspirierten Romanen Donaukind und Eines Lebens Sterne? Wie schon im Titel angedeutet, wird hierbei ihren Donau-Entwürfen eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt.

Eva Krivanec (Berlin): Nomadische Berufspraxis und Attraktion der Großstadt. Transnationale Laufbahnen darstellender Künstlerinnen der Donaumonarchie um 1900

Dass das Berufsfeld der Schauspieler/innen und Artist/innen mit einem unsteten Lebenswandel verbunden ist, scheint selbstverständlich. Dies galt auch lange Zeit als Begründung für deren gesellschaftliche Ächtung und Ausgrenzung. Mit den gesellschaftlichen Transformationsprozessen der Moderne wird jedoch gerade diese Mobilität auch zur Projektionsfläche für neu entstehende Sehnsüchte und erfährt eine Aufwertung. Die ersten Stars sind hier nur der Gipfel eines generell hohen öffentlichen Interesses für darstellende Künstler/innen und ihren Lebenswandel. Doch was dieser Zwang zur beruflichen Mobilität für die Biografie der oft noch sehr jungen  Bühnenkünstlerinnen bedeutete, wie es ihr Selbst­- und Weltver­ständ­nis  beeinflusste und wie die Umzüge, Neuorientierungen und Unsicherheiten lebenspraktisch bewältigt wurden, ist bislang kaum Gegenstand (theater­)historischer Untersuchungen geworden. Im Vortrag sollen biografische Dokumente, Selbstzeugnisse und nicht zuletzt das bühnenkünstlerische Oeuvre von vier Schauspielerinnen bzw. Sängerinnen, die in der österreichisch­ungarischen Monarchie geboren und aufgewachsen sind - Tilla Durieux (1880­1971), Julie Kopacsi (1867­-1957), Fritzi Massary (1882­-1969), Adele Moraw (um 1870­-1942) - und die alle mehrfach ihren Wohnort aus beruflichen (später auch aus politischen) Gründen wechselten, auf die Spuren dieser Reise­ und Migrationserfahrung im Leben, Werk und Denken hin untersucht werden. Natürlich geht es hier nicht nur um die Person, sondern v.a. auch um die künstlerische Persona - also um die Verbindung von Selbstpräsentation in der und Rezeption durch die Öffentlichkeit, aber natürlich auch um Charakteristik und Gestaltung der Rollen. Bei der Auswahl der vier Schauspielerinnen habe ich bewusst verschiedene Bühnengenres berücksichtigt: Während Tilla Durieux als Ensemblemitglied von Max Reinhardt und später Mitstreiterin von Erwin Piscator zu den Vertreterinnen schauspielerischer Avantgarde gezählt werden kann, war Fritzi Massary einer der berühmtesten Berliner Revuestars, wurde später als Operettendiva gefeiert und ist mit anzüglichen Chansons berühmt geworden. Adele Moraw trat als Soubrette in Varietés auf und war v.a. in Großbritannien ein gefeierter Star und Julie Kopacsi war Operettensängerin und wurde für ihre Wienerlied­Interpretationen berühmt. Identität zeigt sich hier als etwas äußerst Fragiles, von vielen Seiten - von der darstellerischen Praxis ebenso wie von Ortswechseln und Neuanfängen - in Frage Gestelltes und lediglich situativ zu Bestimmendes. Die hier vorgestellten Schauspielerinnen gingen mit dieser Offenheit und Unentschiedenheit jedoch - auf sehr unterschiedliche Weise aber gleichermaßen - offensiv um und realisierten eine Freiheit, die für die meisten Frauen ihrer Generation außerhalb des Möglichen lag.

Christoph Leitgeb (Wien): Transdifferenz und Psychoanalyse: Die Überschreibung Bertha von Pappenheims

Kann man "Kultur" jenseits einer binären Oppositionslogik analysieren, die etwa zwischen "fremd" und "eigen" scharf trennt?  Klaus Lötsch prägt für den Versuch, mehrfache kulturelle Übersetzungen und daraus entstehende Palimpseste zu beschreiben, den kulturwissenschaftlichen  Begriff "Transdifferenz". Obwohl sich der Begriff zunächst auf Texte zu beziehen scheint, kehrt darin unkommentiert ein Aspekt der Psychoanalyse wieder: Sigmund Freud beschreibt den archäologischen Charakter der psychoanalytischen Kur mit der Form des Palimpsests. Freud entwickelt  das Bild des Palimpsests am Fall der Hysterikerin Anna O., die unter Symptomen wie Persönlichkeitsspaltung, willkürlichen Sprachwechseln und Aphasie leidet. Seine psychoanalytische Deutung der Symptome übersetzt  zugleich die Lebensgeschichte der Wiener Jüdin Bertha Pappenheim, die ihrerseits auf die Vielfalt ihrer eigenen kulturellen Hintergründe bewusst mit "Übersetzungsarbeit" reagiert hatte: sprachlich vom Jiddischen ins Deutsche, kulturell z.B. in Berichten aus Galizien für den jüdischen Frauenbund. Die in den USA lebende deutsche Schriftstellerin Uljana Wolf  schließlich hat vor kurzem Pappenheims und  Freuds Texte noch einmal palimpsestisch in ihre "schönste lengevitch"  übersetzt. Drei unterschiedliche Ebenen von Übersetzungsarbeit überlagern und beleuchten sich im Palimpsest dieser Texte wechselseitig. An ihm soll der heuristische Wert von "Transdifferenz" erprobt werden und zugleich gefragt: Wie unterscheiden und überschneiden sich kulturtheoretisches Konzept und psychoanalytischer Ansatz?

Magdolna Orosz (Budapest): Gender- und ethnische Stereotypien in der Operette der k.u.k.-Monarchie

Die Operette als publikumswirksame Gattung der Populärkultur in der Zeit der Österreichisch-Ungarischen Monarchie hatte teilweise das Massengeschmack bedient, zugleich aber auch Fragen in leichter konsumierbaren Formen aufgeworfen, die verschiedene kulturelle Diskurse bewegten: Soziale und politische Spannungen konnten so unterschwellig und subversiv ausgetragen werden; darunter tauchten ethnische Kontroversen und auch Geschlechterprobleme in Operetten - Handlung und/oder Figurenkonstellationen bestimmend, von der Musik getragen und mitgestaltet - auf, deren Analyse, die im Beitrag anhand einiger Beispiele versucht wird, bestimmte Einblicke in die Kultur der Epoche erlauben und somit zu differenzierteren Einsichten in ihre Spezifika führen dürfte.

Ingrid Puchalová (Košice): Von Gänseblümchen zur Weltdame. Literarische Gestaltung des Alltags in den Texten von deutschschreibenden Autorinnen aus dem Gebiet der heutigen Slowakei um 1900

Im Blickpunkt des Vortrags steht die literarische und publizistische Produktion der deutschschreibenden Frauen um 1900, die dem Gebiet der heutigen Slowakei entstammten. Meine Forschungsintention richtet sich auf die Texte von Bertha Katscher (1860 Trentschin - 1903 Budapest), Emma Seltenreich (1851 Leutschau - 1918 Leutschau), Cäcilie Jacobs (1846 Wettelkamm - 1902 Rozhanovce) und Else Grailich (1880 Albrechtsfeld - 1969 Bratislava). Die moderne germanistische Literaturgeschichtsschreibung hat die belletristischen und kulturhistorischen Texte slowakisch-deutscher Schriftsteller und Schriftstellerinnen, die sicher von unterschiedlicher Qualität sind, bisher zu wenig zur Kenntnis genommen und beachtet. Literarische Texte werden im Vortrag als spezifische Formen kultureller Repräsentation verstanden, die die Praktiken sozialer Gruppen demonstrieren und kommentieren, als Medium kultureller Reflexion und Interpretation. Dabei wird davon ausgegangen, dass die aus dem Gebiet der heutigen Slowakei stammenden Autorinnen (die meisten von ihnen waren mehrsprachig) deutsche, österreichische, ungarische, slowakische und tschechische Einflüsse reflektieren, Bertha Katscher auch englische. Ausgehend von Genderstudien und philosophischen und literaturtheoretischen Perspektiven auf das Thema des Alltags  sollen einerseits unterschiedliche Dimensionen des Alltäglichen andererseits Weiblichkeits- und Männlichkeitsentwürfe untersucht werden, welche auf verschiedene Weise die sozialen Formationen in allen Zeiten bestimmen. Gesucht werden Antworten auf die Fragen wie z.B., wie Frauen miteinander umgehen, welche Sprache sie sprechen, welches Selbstbewusstsein sie innerhalb der Gesellschaft entwickelt haben und wie dieses Selbstbewusstsein in der Struktur und Sprache des Textes reflektiert wird, kurz, wie Frauen sozialisiert werden.

Irena Samide (Ljubljana): "ist auf dem Gebiete der Frauen-sache thätig": Alterität und Transdifferenz bei Luiza Pesjak (1828-1898)

Die deutsch-slowenische Dichterin, Publizistin, Übersetzerin, Genre-Autorin und Literaturvermittlerin Luiza Pesjak (auch Pessiak; geb. Crobath; 1828-1898), stellt prototypisch das Konzept der Transdifferenz, des "sowohl-als-auch-Prinzips" dar: Pesjak, aus einer gutbürgerlichen, gebildeten Familie stammend, schrieb zuerst auf Deutsch und erst seit der Mitte der 1860er Jahre, nachdem sie des Slowenischen mächtig geworden war, auch auf Slowenisch. Vor dem Hintergrund ihrer Pluriidentität und Bilingualität wird im Beitrag die traditionelle, national- und linguazentrisch orientierte Literaturgeschichtsschreibung in Frage gestellt. Obwohl Pesjak etliche Texte parallel in beiden Sprachen verfasste, einen bedeutenden Briefwechsel mit tonangebenden Intellektuellen der Zeit auf Deutsch führte und ihre von den Literaturkritikern hochgelobte Sammlung, Kinderlieder Ins Kinderherz (1885), nur auf Deutsch veröffentlicht wurde, wird sie in der slowenischen Forschung konsequent als slowenische Dichterin behandelt. Es wird daher im Beitrag versucht, ihre deutschsprachigen Texte zu demarginalisieren, ihr Schreiben im Kontext der Transdifferenz zu positionieren sowie auf ihre bedeutsame Rolle im männlich dominierten Literaturbetrieb der Zeit aufmerksam zu machen.

Univ.-Doz. Dr. Irena Samide, Studium der Komparatistik und Germanistik an der Philosophischen Fakultät in Ljubljana, Slowenien. Studien- und Forschungsaufenthalte in Wien, Berlin und München. Freiberufliche Übersetzerin und Publizistin, seit 2003 Assistentin, seit 2012 Dozentin für neuere deutsche Literatur an der Philosophischen Fakultät in Ljubljana. Schwerpunkte: Literatur der Romantik, Schreiben von Autorinnen, Deutsch-slowenische Wechselbeziehungen, Literaturdidaktik, Kanonisierung, Geschichte des Deutsch- und Literaturunterrichts in Slowenien.

Tamara Scheer (Wien): Nationalitätenfrage und Sprachenvielfalt in der k.u.k. Armee (1868-1914)

Die österreichisch-ungarische, auch gemeinsame oder k.u.k. Armee genannt, war nach dem Ausgleich mit Ungarn 1867 als einzige Institution verblieben, die im gesamten Raum des Habsburgerreiches wirksam wurde. Im Jahr nach dem Ausgleich, welcher durch die Einsetzung zweier auf bürgerlichen Grundrechten basierenden Verfassungen begleitet wurde, erfolgte die Einführung der Allgemeinen Wehrpflicht. Die militärischen Planer sahen sich nunmehr Staatsbürgern gegenüber, die nach der österr. Verfassung das Recht erhielten, in ihrer Sprache in der Armee ausgebildet zu werden. Insgesamt kannte die k.u.k. Armee 11 bzw. 12 solcher Ausbildungssprachen, meist Regimentssprachen genannt. Mit diesem komplexen System verfolgte die Armeeführung das Ziel neben einer effizienteren Ausbildung, auch das Wir-Gefühl und die Loyalität gegenüber dem Reich zu heben. Tatsächlich scheint es, dass - nicht unbedingt aufgrund der Unzufriedenheit der betroffenen Soldaten - die Auswirkungen des Systems eine andere Richtung einschlugen. Zum einen konnte es nie perfekt funktionieren, weshalb die Kritik daran v.a. in der Öffentlichkeit Nationalitätenvertreter aufgriffen, die Ausbildung nach Sprachen machte die Einteilung in sprachlich und damit meist ethnisch homogene Gruppen notwendig, und durch die im Alltag benützte Sprache bildeten sich nationale (Regiments-)traditionen erst aus. Meine Präsentation wird diese Tendenzen v.a. anhand der Selbstzeugnissen (Tagebüchern, Memoiren, Romane) von Offizieren auswerten, da diese sich zum Einen als Reibebaum zwischen den Wünschen der Armeeführung und den Soldaten (und der politischen Öffentlichkeit) verstanden, zum Anderen als Übertragungsstelle von oben nach unten fungieren mussten. Ihre Reaktion war häufig auch durch ganz persönliche (Karriere-)Motive geleitet. Die hohe Mobilität der Offiziere - eine Karriere endete meist erst nach etwa 10 verschiedenen Garnisonen verteilt überall in der Monarchie - macht ihre Zeugnisse zu einem ergiebigen Untersuchungsobjekt, da sie häufig auf Vergleichen einzelner Nationalitäten basieren.

Dr. Tamara Scheer, Studium der Geschichte an der Universität Wien, seit 2009 Lehre an der Universität Wien, 2010-2012 Postdoc an der Andrássy Universität Budapest, 2014/15 Gastwissenschafterin am Trinity College Dublin und am European University Institute Florenz,  seit 2012 Leitung des Forchungsprojekts "Die Sprachenfrage in der k.u.k. Armee als Teil der Nationalitätenfrage in der Habsburgermonarchie (1868-1914) am Ludwig Boltzmann Institut für Historische Sozialwissenschaft. Monografien: "Minimale Kosten, absolut kein Blut!". Österreich-Ungarns Präsenz im Sandžak von Novipazar (1879-1908). Frankfurt et al. 2013, Die Ringstraßenfront - Österreich-Ungarn, das Kriegsüberwachungsamt und der Ausnahmezustand während des Ersten Weltkriegs. Wien 2010, Zwischen Front und Heimat: Österreich-Ungarns Militärverwaltungen im Ersten Weltkrieg. Frankfurt et al. 2009.

Agatha Schwartz (Ottawa): Juliane Déry: Zwischen Kulturen und Identitäten

In meinem Vortrag werde ich das Leben und das Werk von Juliane Déry unter den Aspekten von Transkulturalität, Hybridität und mit Hilfe der Affekttheorie (Susan Ahmed) untersuchen. 1864 in Baja (Südungarn) als Julianna Deutsch geboren, als ungarische Jüdin aufgewachsen, mit der Familie (wahrscheinlich im Alter von 16 Jahren) nach Wien ausgewandert, wo die Familie den Namen wechselte und sich katholisch taufen ließ, trat Juliane Déry 1888 mit der erfolgreichen Novelle Meine Braut in die deutschsprachige literarische Öffentlichkeit. Gelobt von keinem anderen als Karl Emil Franzos, wurde sie später für ihre "Radikalität" und Nähe zum Naturalismus von demselben kritisiert. Dérys Leben und Karriere zwischen Baja, Wien, München, Paris und schließlich Berlin (wo sie am Karfreitag 1899 Selbstmord beging) hinterließ verschiedene Einflüsse in ihrem Werk (weswegen sie manchmal des Epigonentums bezichtigt wurde), doch lässt sich vorwiegend ihre Vorliebe für Gender-Themen und eine scharfe Kritik der sozialen Hierarchien feststellen (weswegen eine intersektionelle Analyse ihrer Werke am meisten angebracht scheint). Der ständigen Alterität ausgesetzt ("mysteriöse Sphynx"; "Ungarnmädel mit einem herrlichen Zigeunerwesen"), versuchte Déry, sich zwischen diesen angehefteten Bildern zu behaupten, wobei sich ihre Hybridität als transkulturelles kreatives weibliches Subjekt einerseits und ihre Wut wegen der nimmer endenden Gender- und Klassenungleichheiten andererseits in ihren Werken spiegeln.

Ernst Seibert (Wien): Die periphere Genese der österreichischen Kinder- und Jugendliteratur vom Fin de siècle bis zur Ersten Republik

Wenn man in der Frage nach Klassikern der KJL (Kinder- und Jugendliteratur) die Nationalliteraturen sichtet, wird man zahlreiche geläufige Kinderfiguren von Alice bis Nils Holgerson und von Pinocchio, Heidi und Mowgli bis zum kleinen Prinzen nicht nur aus dem Gedächtnis abrufen, sondern auch ihrer Herkunft nach zuordnen können. Österreich scheint hier mit einem Defizit in einer Ausnahmeposition. Tatsächlich gibt es aus dem gleichen Zeitraum eine Reihe von bekannten AutorInnen-Namen zu nennen, wie Marie von Ebner-Eschenbach, Franz Molnar und Felix Salten, die mit Kinder- und Jugendbüchern verbunden sind. Ergänzt durch nicht ganz so bekannte AutorInnen von Emma Adler über  A. Th. Sonnleitner bis Hermynia Zur Mühlen festigt sich der Eindruck, dass die Entstehung der österreichische KJL von LiteratInnen getragen wurde, die fast durchwegs aus der Peripherie der Monarchie stammen. Dieser Befund soll mit einer Reihe von Einzeluntersuchungen verifiziert werden.

Ernst Seibert, geb. 1946 in Salzburg, Mag. et Dr. phil., Univ.-Doz., Projektarbeiten in Zusammenarbeit mit dem „Internationalen Institut für Jugendliteratur und Leseforschung“ in Wien, 1997-1999 Projektmitarbeit am DFG-Projekt „Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur“ an der Univ. zu Köln, 1999 Begründung der „Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendliteraturforschung“ und deren Vorsitzender bis 2013. Hrsg. der Fachzeitschrift „libri liberorum“ und der Schriftenreihe „Kinder- und Jugendliteraturforschung in Österreich“. 2005 Habilitation für Neuere deutsche Literatur an der Universität Wien mit „Kindheitsmuster in der österreichischen Gegenwartsliteratur. (Peter Lang 2005)“ zahlreiche Publikationen u.a. „Themen, Stoffe und Motive in der Literatur für Kinder und Jugendliche. (UTB 2008)“.

Katalin Teller (Budapest/Wien): "Der heißblütige Dalmatiner". ReiseschriftstellerInnen in Dalmatien und Bosnien

Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts boten sich Dalmatien und Bosnien den Reiseschriftstellern und Reiseschriftstellerinnen der Habsburgermonarchie als beliebte Destinationen an, sei es aus beruflichen oder familiären Gründen. Der Vortrag will anhand der Berichte und belletristischen Bearbeitungen der Reisen von Olga Meraviglia, Paul Maria Lacroma (Ps. für Marie Edle von Egger-Schmitzhausen), Mara Čop-Marlet (Ps. für Marie Berks), Robert Michel und Adolph Schmal vier Fragen vergleichend nachgehen: Inwiefern greift in diesen Fällen die These von Bernd Wiese, der zufolge um die Jahrhundertwende sich das "Zweite Jahrhundert der Entdeckungen" ankündigte, indem sich neue koloniale, mediale und massentouristische Entwicklungen in der Art und Weise des Reisens spürbar machten, und wie stark hielt sich noch die Tradition der Bildungsreisen des 18. Jahrhunderts in diesen Texten? Welche unterschiedlichen diskursiven Strategien des Exotisierens und des ethnografischen Erzählens lassen sich in den als Belletristik bzw. als Reisebericht vorgelegten Bearbeitungen ausmachen? Inwiefern können Klassen-, Geschlechts- und nationale Zugehörigkeiten als Ausschlag gebend für die abweichenden Diskursivierungsmethoden verantwortlich gemacht werden?

Katalin Teller, geb. 1973, Studium der Germanistik und Slavistik an der Eötvös-Loránd-Universität Budapest, nach Forschnungsaufenthalten in Sankt-Petersburg, Konstanz und Wien Promotion in deutscher Literaturwissenschaft im Jahr 2007, 2006-2008 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Deutschsprachige Literaturen der ELTE, seit 2009 assoziierte Professorin am Lehrstuhl für Ästhetik der ELTE. 2007-2012 Redaktionsmitglied der Internetplattform kakanien revisited, zahlreiche Projektbeteiligungen, zuletzt am Projekt “Transdifferenz in der Literatur deutschsprachiger Migrantinnen in Österreich-Ungarn” und “Metropolis in Transition, Wien - Budapest 1916-1921”. Forschungsschwerpunkte: urbane Populärkultur in Wien und Budapest um die Jahrhundertwende und in der Zwischenkriegszeit.

Ruth Whittle (Birmingham, UK): Gedanken zum "Unkraut" im "Garten" der Marie von Ebner-Eschenbach: Aus Franzensbad. 6 Episteln von keinem Propheten (1859) und die Kurzgeschichte Das tägliche Leben (1908)

Die beiden im Titel genannten Werke - das eine von einer jungen und das andere von einer gealterten und von so Manchem enttäuschten Frau - wurden wenig rezipiert, und das nicht von ungefähr: Unterzieht man sie einer genaueren Lektüre, so wird klar, dass Ebner-Eschenbach in ersterem sehr früh etwas zum Kanon und der Abwesenheit von Frauen darin zu sagen hat, also zu einem Thema, das in den 1850er Jahren von Frauen nicht zu diskutieren war, und dass sie in letzterem die großen feministischen Fragen nicht endgültig geklärt hat. Ebner-Eschenbachs Rezeption neigt dazu, ihr Werk in einer "gärtnerischen Ordnung" (Lösch) zu begreifen, die das dem Arrangement Fremde und Widerständige, also Löschs "Unkraut", immer wieder verschweigt. Ich möchte diskutieren, inwiefern sich die Kritik aber an diesen beiden Titeln mehr "abarbeiten" könnte, einerseits um Ebner-Eschenbachs Bewusstheit zum Thema Kanon klarer zu würdigen, und andererseits um zuzulassen, dass die letztliche Nichtlösung feministischer Fragen sie gerade nicht zu einer facilen oder angepassten Autorin macht. Die Lektüre der genannten Werke soll dabei nicht nur einen differenzierteren Blick auf Ebner-Eschenbach vermitteln, sondern es soll auch diskutiert werden, inwieweit meine Leseweise für die Diskussion einer Reihe anderer, nicht kanonisierter Autorinnen im österreichisch-ungarischen Raum fruchtbar sein könnte.


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